Von Willi Berg
Das Heidelberger Landgericht hat einen 84-jährigen ehemaligen Kinderarzt zu einer Bewährungsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Der Rentner hatte mehrfach seine vierjährige Enkelin sexuell missbraucht. Der Angeklagte, der früher auch als Psychotherapeut tätig war, habe in der Familie einen "Scherbenhaufen" angerichtet, sagte die Vorsitzende Richterin Daniela Kölsch.
Entdeckt wurde der Missbrauch Mitte Juni 2016. Damals sah die Tochter, wie ihr Vater seinem Enkelkind zwischen die Beine fasste. Die 23-jährige Mutter informierte die Polizei und stellte Strafanzeige. "Sie haben das einzig Richtige gemacht", sagte Kölsch.
Zunächst leugnete der Rentner, dann gab er in Vernehmungen zehn weitere Fälle zu. Schon zuvor habe seine Tochter ihm misstraut und ihn "gewarnt". Aufgrund der "eigenen Erfahrungen" habe sie Angst gehabt, er könne ihr Kind missbrauchen, sagte Kölsch. Welche Erfahrungen das waren, erwähnte sie nicht. Offenbar bezog sie sich auf Aussagen der Tochter im nicht öffentlichen Teil des Prozesses. Ihr Kind leidet seither unter Albträumen und nässt ein. Das Verhalten gegenüber älteren Männern habe sich verändert, berichtete die Mutter. Dass das Mädchen den Opa jemals vergessen kann, daran glaubt die Richterin nicht.
Der Angeklagte habe einen "besonderen Vertrauensbruch" begangen. Die Familie habe sich deshalb zu Recht von ihm abgewandt. Das Geständnis sei dem 84-Jährigen "hoch anzurechnen". Er habe damit "Verantwortung für seine Taten übernommen", sagte Kölsch.
Der Mediziner leitete viele Jahre ein Institut, das Psychotherapeuten für Kinder und Jugendliche ausbildet. Weil er dort nicht mehr tragbar war und weil er ein uneheliches Kind mit einer ehemaligen Patientin zeugte, musste er 1993 gehen. Angeblich soll es damals zu sexuellen Übergriffen auf mehrere Patienten gekommen sein. Dies behauptet der Anwalt Prof. Christian Laue, der in dem aktuellen Fall das Opfer vertrat. Damit nicht genug: Der Angeklagte habe zudem in den 90er Jahren drei Ausbildungskandidatinnen in einem anderen Institut sexuell missbraucht, sagte Laue. Sein Antrag, einen Ethikbeauftragten als Zeugen zu hören, wurde vom Gericht abgelehnt. Laue argumentierte, dieser habe sich "eingehend mit den sexuellen Grenzverletzungen des Angeklagten beschäftigt". Dies sei relevant für die Strafzumessung in diesem Prozess, auch wenn die meisten Fälle bereits verjährt seien.
Dem ist das Gericht nicht gefolgt. Der Charakter des Angeklagten sei durch Zeugenaussagen "ausreichend ermittelt". Aus der Vergangenheit ließen sich "keine Rückschlüsse ableiten" für die Schuld des Angeklagten in dem aktuellen Verfahren. Nach dem Rauswurf aus dem Institut war er noch jahrelang in eigener Praxis tätig. Doch dann sorgte seine Tochter dafür, dass ihm die Approbation entzogen wurde. Die Öffentlichkeit war in dem Prozess teilweise ausgeschlossen, auch während der Plädoyers.