Medizinrecht

Das Medizinrecht bildet einen sehr komplexen Teil des deutschen Rechtswesens und widmet sich in erster Linie juristischen Belangen, die Ärzte und Patienten betreffen.

Aber auch Rechtsbeziehungen zwischen Medizinern können Gegenstand des Medizinrechts sein. In Anbetracht der Tatsache, dass die eigene Gesundheit als wohl höchstes Gut gilt, zeigt sich die hohe Relevanz dieses juristischen Teilgebietes.

m Fokus steht vor allem die sogenannte Arzthaftung. Begeht ein Arzt einen Behandlungsfehler, der zu einem Gesundheitsschaden führt und handelt der Arzt in seiner ärztlichen Tätigkeit schuldhaft, kann dieser juristisch zur Rechenschaft gezogen werden. Behandlungsfehler können aber nicht auf Fehlverhalten von Ärzten beruhen, sondern auch von medizinischem Assistenzpersonal wie Krankenschwestern etc. oder auch von anderen Angehörigen der Heilberufe, exemplarisch seien hier Physiotherapeuten, Chiropraktiker oder auch

Heilpraktiker genannt. Zum verbesserten Schutz der Patienten wurde 2013 das Patientenrechtegesetz erlassen.

Das Medizinrecht ist aber weit umfangreicher und beinhaltet nicht nur Probleme der Auseinandersetzung zwischen Arzt und Patient. Auch Vorsorgeentscheidungen des Patienten, wie z. B. eine Patientenverfügung, zählen hierzu.

Daneben zählen auch Fragestellungen dazu, bei denen der Arzt im Fokus steht. Welche Ansprüche hat der Arzt z. B. bei Honorarkürzungen gegenüber der kassenärztlichen Vereinigung? Auf welcher vertraglichen Grundlage können Ärzte miteinander oder mit Krankenhäusern kooperieren? Was bedeutet eine sektorübergreifende Versorgung? Wie kann sich ein Arzt niederlassen und was muss er im Zulassungsverfahren als Vertragsarzt beachten? Was ist bei der Übergabe einer Praxis an einen Nachfolger zu beachten und wie muss die

Schließung einer Praxis vorbereitet werden? Welche Bedeutung hat ein Betriebsübergang auf Abgeber, Übernehmer und Personal? Welche Regeln gibt es beim ärztlichen Werberecht und kann sich ein Arzt gegen negative Bewertungen in den sozialen Medien wehren? Welche Auswirkungen hat die Europäische Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) für Patienten- und Mitarbeiterdaten? Sind Honorararztverträge zulässig und wie kann ein Chefarztvertrag mit Leistungselementen versehen werden? Das allgemeine Berufsrecht sowie die geltenden Berufsordnungen dürfen ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden und können als Medizinrecht definiert werden. Die Definition des Medizinrechts erweist sich somit als äußerst komplex und verfügt über eine enorme Bandbreite.

Wir weisen darauf hin, dass wir im Medizinrecht sowohl Patienten wie auch Ärzte und Kliniken vertreten.

I. Das Patientenrechtegesetz

1. Einleitung

Der Wunsch des Gesetzgebers war, "einen wesentlichen Beitrag zu mehr Transparenz und Rechtssicherheit" leisten. Patienten sollen ihre Rechte konzentriert in einem Gesetz nachlesen können. Unter dem bedeutungsvollen und gleichsam umstrittenen Titel "Patientenrechtegesetz" sind nun Änderungen in einer ganzen

Reihe von Gesetzen - Bürgerliches Gesetzbuch, Sozialgesetzbuch V, Krankenhausfinanzierungsgesetz, Bundesärzteordnung u.a. - geändert worden. Ob dieses Patientenrechtegesetz allerdings eine spürbare Verbesserung gegenüber der bislang schon gefestigten Rechtsprechung mit sich bringt, ist allerdings fraglich.

2. Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)

Erstmals ist nun im BGB ausdrücklich der bislang unter den Oberbegriff „Dienstvertrag“ fallende "Behandlungsvertrag" als solcher auch in § 630a BGB bezeichnet. Die sich aus dem Behandlungsvertrag weiter ergebenden Rechte und Pflichten von Arzt und Patient ergeben sich aus den §§ 630b BGB – 630h BGB.

"Durch den Behandlungsvertrag wird derjenige, welcher die medizinische Behandlung eines Patienten zusagt (Behandelnder), zur Leistung der versprochenen Behandlung, der andere Teil (Patient) zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet, soweit nicht ein Dritter (gesetzliche Krankenkasse, nicht jedoch PKV) zur Zahlung verpflichtet ist."

Die neuen Regelungen im BGB sollen auf alle Behandlungsverhältnisse, d. h. auch

der Psychotherapie, der Physiotherapie, der Logopädie etc. und auch der Heilpraktiker, Anwendung finden. Das Gesetz spricht daher vom "Behandelnden" als Vertragspartner des Patienten und meint damit jede Person, die eine medizinische Behandlung vornimmt. Verträge über Pflege und Betreuung gehören allerdings nicht dazu.

In Absatz 2 des § 630a stellt der Gesetzgeber klar, welche Behandlungsqualität der Arzt aus dem Behandlungsvertrag schuldet. Dort heißt es: "Die Behandlung hat nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist."

Damit schuldet der Arzt grundsätzlich eine Behandlung nach dem allgemein anerkannten fachlichen Standard. In Ausnahmefällen ist es mit Einverständnis des Patienten möglich, hiervon abzuweichen (z. B. neue, noch nicht erprobte Therapie bei schwerer Erkrankung)

Ärztliche Informationspflichten

Wie auch bisher durch die Rechtsprechung festgelegt, gilt gemäß § 630c Absatz 2 Satz 1 BGB:

"Der Behandelnde ist verpflichtet, dem Patienten in verständlicher Weise zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern, insbesondere die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen."

Diese mit "Mitwirkung der Vertragsparteien; Informationspflichten" überschriebene Vorschrift regelt zunächst einen Teilbereich der Aufklärungspflicht, nämlich den Bereich der in der Vergangenheit von der Rechtsprechung entwickelten sog. "therapeutischen Aufklärung", die auch als "Sicherungsaufklärung" bezeichnet wird. Hiernach hat der Arzt den Patienten über ein therapierichtiges Verhalten zur Sicherstellung des Behandlungserfolgs und zur Vermeidung möglicher Selbstgefährdungen zu beraten. Versäumnisse bei der Information in diesem Bereich

sind als Behandlungsfehler zu bewerten, die allerdings der Patient vollumfänglich zu beweisen hätte.

Dass der Gesetzgeber die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur therapeutischen - bzw. Sicherungsaufklärung in § 630c Absatz 2 und nicht im Rahmen des § 630e, der ausweislich seiner Überschrift die "Aufklärung" regelt, verortet hat, hat einen entscheidenden praxisrelevanten Grund: Anders als bei der sog. Eingriffs- und Risikoaufklärung (Aufklärung vor Eingriffen über mit diesen verbundenen Chancen und Risiken, Absatz 1) muss die erfolgte therapeutische - oder Sicherungsaufklärung nicht in der Patientenakte dokumentiert werden. Die nicht erfolgte Dokumentation der "Information" nach § 630c Absatz 2 (therapeutische - oder Sicherungsaufklärung) führt, anders als die nicht erfolgte Dokumentation der Eingriffs- und Risikoaufklärung in § 630e Absatz 1 nicht zu einer Beweiserleichterung für den Patienten. Das bedeutet, dass der Patient für die

Behauptung, es liege in diesem Sinne wegen fehlender Information ein Behandlungsfehler gemäß § 630c Abs. 2 vor, in der Regel die volle Beweislast trägt.

Pflicht zum Geständnis über Behandlungsfehler

"Sind für den Behandelnden Umstände erkennbar, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen, hat er den Patienten über diese auf Nachfrage oder zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren zu informieren.“

Nicht neu ist die in dieser Vorschrift enthaltene Verpflichtung, den Patienten über Umstände zu informieren, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen. Nach der Gesetzesbegründung kommt es bei dieser Alternative der Regelung nur darauf an, ob die Information für die Gesundheit des Patienten erforderlich ist. In der Regel wird die Frage, ob das Vorkommnis oder ein Umstand ggf. fehlerbedingt entstanden ist, für die weitere Therapie unbedeutend sein. Die Praxisrelevanz dieser Regelung darf daher bezweifelt werden.

Neu ist die Verpflichtung, eine solche Information auch auf Nachfrage des Patienten zu erteilen und zwar auch dann, wenn dies nicht zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren erforderlich ist, sondern allein den Vermögensinteressen des Patienten dienlich ist. Dies bedeutet praktisch die Pflicht zur Offenbarung eigenen Fehlverhaltens. Welche Konsequenzen dem Arzt bei einem Verstoß gegen diese Offenbarungspflicht drohen, ist völlig unklar, zumal die hinter den Ärzten oder Krankenhäusern stehenden Berufshaftpflichtversicherungen den Ärzten oder Krankenhäusern im Rahmen des mit Ihnen abgeschlossenen Versicherungsvertrages erst einmal einen „Maulkorb“ verpassen und so eigene Handlungen der Ärzte/Krankenhäuser untersagen, wollen diese nicht den Versicherungsschutz verlieren.

Die Praxisrelevanz dieser Vorschrift ist daher äußerst fraglich.

Fazit: Ärztinnen und Ärzte sollten und werden sich genau überlegen, ob aufgrund bekannter "Umstände" tatsächlich auch die Annahme eines Behandlungsfehlers begründet ist. Nur wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, besteht ein Informationsanspruch des Patienten nach dieser Vorschrift. Unabhängig davon müssen aber alle Informationen erteilt werden, die aus therapeutischen Gründen erforderlich sind.

Wirtschaftliche Aufklärung: Information über Behandlungskosten

Auch diese Verpflichtung zur Aufklärung ist nicht in § 630e, sondern in § 630c Absatz 3 geregelt.

"Weiß der Behandelnde, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist oder ergeben sich aus den Umständen hierfür hinreichende Anhaltspunkte, muss er den Patienten vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung in Textform informieren. Weitergehende Formanforderungen aus anderen Vorschriften bleiben unberührt.

Aufgrund der bisherigen Rechtsprechung war der Arzt schon vor Erlass des Patientenrechtegesetzes verpflichtet, den Patienten vor der Behandlung darauf aufmerksam zu machen dass die Behandlungskosten nicht oder nicht vollständig von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen wird. Im Bereich der GKV im Falle der Erbringung sog. individueller Gesundheitsleistungen (IGEL) ist eine schriftliche Vereinbarung mit bestimmten Mindestinhalten vorgeschrieben. Auch beim ausdrücklichen Verlangen des GKV-Patienten nach Selbstzahlung ist eine schriftliche

Zustimmung des Patienten erforderlich.

Vorsicht mit Verzichtserklärungen!

Entfallen kann die so geregelte wirtschaftliche Informationspflicht gemäß § 630c Absatz 4 nur soweit diese "aufgrund besonderer Umstände entbehrlich ist". Die Vorschrift nennt hier insbesondere die Fälle der unaufschiebbaren Behandlung und den Fall, dass der Patient auf die Information ausdrücklich verzichtet hat. Bereits an dieser Stelle soll dringend davon abgeraten werden, etwa Patienten generell zu bitten, Verzichtserklärungen zu unterschreiben, da der Verzicht des Patienten auf wirtschaftliche Aufklärung den absoluten Ausnahmefall darstellen muss.

Einholung der Einwilligung in die Behandlung ist vertragliche Pflicht

Unter strafrechtlichen Gesichtspunkten stellt jede Behandlung, die mit einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit verbunden ist, eine strafbare Körperverletzung dar – außer der Patient hat in diese eingewilligt und stellt somit eine gerechtfertigte Heilbehandlung dar. Relevant ist dieses Thema momentan bei der Diskussion um die Altersfeststellung von Flüchtlingen mittels Röntgenaufnahmen der Hand. Wenn der Flüchtling nicht sein Einverständnis mit dieser Maßnahme erklärt, macht sich der Arzt, der die Röntgenaufnahme unter seiner Verantwortung strafbar, da eine solche Röntgenaufnahme aufgrund der Strahlenbelastung einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstellt.

Mit der Regelung in § 630d Absatz 1 Satz 1 wird die Einwilligung nunmehr ausdrücklich auch als vertragliche Pflicht geregelt, die im Fall ihrer Verletzung zu vertraglichen Schadensersatzansprüchen führen kann:

"Vor der Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, ist der Behandelnde verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen."

In diesem Bereich sind jedoch besonders Patientenverfügungen zu beachten!

Im Falle der Einwilligungsunfähigkeit des Patienten ist gemäß § 630d Absatz 1 Sätze 2 und 3 wie folgt zu verfahren:

"Ist der Patient einwilligungsunfähig, ist die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen, soweit nicht eine Patientenverfügung nach § 1901a Absatz 1 Satz 1 die Maßnahme gestattet oder untersagt. Weitergehende Anforderungen an die Einwilligung aus anderen Vorschriften bleiben unberührt. Kann eine Einwilligung für eine unaufschiebbare Maßnahme nicht rechtzeitig eingeholt werden, darf sie ohne Einwilligung durchgeführt werden, wenn sie dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht."

Es muss also zuerst einmal ein aufwendiger Prüfungsprozess durchgeführt werden, ob es eine „Patientenverfügung“ oder einen „Betreuer“ oder „Vorsorgebevollmächtigten“ des Patienten gibt.

Ausschließlich für den Fall, dass weder eine gesetzliche Betreuung noch eine sog. Vorsorgebevollmächtigung besteht und der Arzt sich sicher ist, dass die ihm vorliegende Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens - und Behandlungssituation zutrifft, hat er nach wohl herrschender Auffassung entsprechend den Vorgaben der Patientenverfügung dem darin geäußerten Patientenwillen ohne Weiteres, d.h. ohne die Anregung einer gesetzlichen Betreuung, Geltung zu verschaffen.

Trifft die vorliegende Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation nicht zu oder ist der Arzt sich darüber unsicher, dann ist beim zuständigen Betreuungsgericht eine gesetzliche Betreuung anzuregen. Handelt es sich allerdings um eine unaufschiebbare ärztliche Maßnahme, so ist die Maßnahme durchzuführen bzw. zu unterlassen, soweit es dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht.

Es ist daher Vorsicht geboten, wenn der Patient der Auffassung ist, mit einer Patientenverfügung hätte er für alle Eventualitäten Vorsorge getroffen. Dies gilt gerade auch für Mustertexte im Internet. Häufig werden bei Abfassen derPatientenverfügung bestimmte Umstände gar nicht erfasst oder Behandlungsmöglichkeiten haben sich so weiter entwickelt, dass die im konkreten Fall dann anzuwendende Patientenverfügung gar nicht mehr aktuell ist.

Ärztliche Aufklärungspflichten

In § 630e ist die sog. Eingriffs- und Risikoaufklärung geregelt, die auch als Selbstbestimmungsaufklärung bezeichnet wird, d.h. der Teil der Aufklärung, der vor der Einwilligung in eine ärztliche Maßnahme zu erfolgen hat.

Demnach hat der Behandler (also auch Heil- oder Chiropraktiker etc.) "…den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu

erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie."

Aufklärung muss mündlich erfolgen, ergänzend in Textform

Dies bedeutet, dass der Patient ergänzend zur mündlichen Aufklärung durch einen Text nur dann wirksam aufgeklärt wird, wenn der Patient den Text ausgehändigt erhält. Die Aushändigung sollte in der Patientenakte dokumentiert werden.

Aufklärung muss gemäß § 630e Abs. 2 Nummer 2 rechtzeitig erfolgen und verständlich sein

Der Aufklärung bedarf es gemäß § 630e Absatz 4 nicht, soweit es sich um einen Fall der Unaufschiebbarkeit der ärztlichen Maßnahme, d.h. den Notfall, handelt sowie den Fall des ausdrücklichen patientenseitigen Verzichts.

Aufklärung über alternative Behandlungsmethoden

"Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können." (§ 630e Absatz 1 Satz 3)

Diese Aufklärungspflicht besteht nur über alternative Therapiemethoden, die zum medizinischen Standard gehören.

Delegation der Aufklärung

Der, der den Eingriff durchführt muss nicht unbedingt derjenige sein, der die für die Einwilligung erforderliche Aufklärung vornimmt. Die Aufklärung hat aber durch einen Arzt zu erfolgen, der über die zur Durchführung der Maßnahme erforderliche Ausbildung verfügt und darf nicht von medizinischem Assistenzpersonal (z. B. Krankenschwester) durchgeführt werden, § 630e Absatz 2.

Aushändigung von Aufklärungsbögen und Einwilligungserklärungen

"Dem Patienten sind Abschriften von Unterlagen, die er im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Einwilligung unterzeichnet hat, auszuhändigen."( § 630e Absatz 2)

Gemäß § 630e Absatz 5 sind auch dem einwilligungsunfähigen Patienten entsprechend seinem Verständnis die wesentlichen Umstände bezüglich des ärztlichen Eingriffs zu erläutern.

Dokumentation in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung

"Der Behandelnde ist verpflichtet, zum Zweck der Dokumentation in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung eine Patientenakte in Papierform oder elektronisch zu führen."( § 630f Absatz 1 Satz 1)

Was mit „unmittelbarem Zusammenhang“ gemeint ist, ist noch nicht höchstrichterlich entschieden. Die Dokumentation sollte aber zumindest unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern in einem Zeitfenster von spätestens 14 Tagen erfolgen. Im Bedarfsfall (Notfall, Weiterbehandlung etc.) auch deutlich früher.

Berichtigungen und Änderungen müssen in der Dokumentation (Papierakte und elektronische Patientenakte) erkennbar sein!

"Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Patientenakte sind nur zulässig, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen worden sind. Dies ist auch für elektronisch geführte Patientenakten sicherzustellen."( 630f Absatz 1 Satz 2)

Dies soll „eine fälschungssichere Organisation der Dokumentation in Anlehnung an die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung, wie sie bereits im Handelsgesetzbuch sowie in der Abgabenordnung geregelt sind, sicherzustellen".

Bei nicht ordnungsgemäß geführter Dokumentation kann der Beweiswert von Eintragungen in der Patientenakte auf 0 sinken.

Gemäß § 630f Absatz 2 müssen "sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse" aufgezeichnet werden, insbesondere "die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen. Arztbriefe sind in die Patientenakte aufzunehmen".

Aufbewahrungsfrist für Patientenakten gemäß § 630f Absatz 3

"Der Behandelnde hat die Patientenakte für die Dauer von zehn Jahren nach Abschluss der Behandlung aufzubewahren, soweit nicht nach anderen Vorschriften andere Aufbewahrungsfristen bestehen."

Für minderjährige Patienten beginnt der Lauf der 10-Jahresfrist allerdings erst mit Eintritt der Volljährigkeit des Patienten. Auch können sich aus anderen Vorschriften, wie z. B. der Röntgenverordnung, andere Aufbewahrungsfristen ergeben.

Einsichtnahme in Behandlungsunterlagen

"Dem Patienten ist auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die ihn betreffende Patientenakte zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen. Die Ablehnung der Einsichtnahme ist zu begründen. § 811 ist entsprechend anzuwenden."(§ 630g Absatz 1)

Die bisherige Rechtsprechung hat, je nach Fallgestaltung, unter "unverzüglich" Fristen zwischen drei und 14 Tagen für angemessen gehalten. Auch hier kann sich die Frist z. B. im Fall einer erforderlichen, schnellen Weiterbehandlung verkürzen.

Das Einsichtsrecht kann nur in Ausnahmefällen dann versagt werden, wenn der Patient durch die Einsichtnahme erheblichen gesundheitlichen Schaden nehmen kann.

Das Einsichtsrecht ist nur am sogenannten Erfüllungsort, d. h. in der Arztpraxis oder im Krankenhaus zu gewähren.

Will der Patient Abschriften aus der Patientenakte haben, so hat er hierfür die Kosten zu tragen, § 630g Absatz 2.

Persönlichkeitsrechte Dritter und des Arztes

Erhebliche Rechte Dritter, die dem Einsichtsrecht entgegenstehen können, können z.B. die Rechte von Eltern minderjähriger Patienten oder von mitbehandelnden Ärzten darstellen.

Einsichtsrecht nach dem Tod des Patienten - Postmortale Schweigepflicht

"Im Fall des Todes des Patienten stehen die Rechte aus den Absätzen 1 und 2 zur Wahrnehmung der vermögensrechtlichen Interessen seinen Erben zu. Gleiches gilt für die nächsten Angehörigen des Patienten, soweit sie immaterielle Interessen geltend machen. Die Rechte sind ausgeschlossen, soweit der Einsichtnahme der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des Patienten entgegensteht."( § 630g Absatz 3)

Die Schweigepflicht des Arztes erlischt nicht nach dem Tode des Patienten und das Recht, über die eine Person betreffenden Informationen zu disponieren, ist ein höchstpersönliches Recht, das nur von der betreffenden Person selber wahrgenommen werden kann. Nach dem Tod ist daher eine Entbindung von der Schweigepflicht, etwa durch Erben oder durch Angehörige nicht mehr möglich. Wenn der Patient zu Lebzeiten seinen diesbezüglichen Willen nicht ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten kundgetan hat, dann verbleibt als einziger Maßstab für die Frage der Offenbarung von Patienteninformationen dessen mutmaßlicher Wille. Ob eine Offenbarung von Patienteninformationen dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen entsprach, ist also immer eine Einzelfallentscheidung.

Beweislastverteilung im Streitfall

Ist bei dem Patienten ein Schaden im Rahmen einer Behandlung eingetreten und will er hierfür Schadensersatz und Schmerzensgeld, so muss unter Schadensersatzgesichtspunkten immer erst der Eintritt eines Schadens nachgewiesen werden, dann eine schuldhafte Verletzung des Behandlungsvertrages durch den Behandler oder seinen Angestellten als „Erfüllungsgehilfen“. Nur, wenn es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Schaden gibt, hat der Patient Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Ebenso muss auch bei einem Anspruch aus sog. „unerlaubten Handlung“, der neben dem Anspruch aus Verletzung des Behandlungsvertrages, der Ursachenzusammenhang zwischen der Verletzungshandlung und dem Verletzungserfolg, dem Schaden bestehen. Auch hier kann eine Haftung des unerlaubt Handelnden für Personen,

derer er sich bei der Behandlung bedient hat, also für „Verrichtungsgehilfen“, bestehen.

Relevant in diesem Zusammenhang ist daher, welche Art von Behandlungsfehler vorliegt und wer diesen Behandlungsfehler verursacht hat.

Dem Arzt oder einer Hilfsperson muss grundsätzlich entweder Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorzuwerfen sein, was bei einem objektiv festgestellten Behandlungsfehler zunächst widerlegbar vermutet wird (§ 280 Absatz 1 Satz 2). Neben dieser allgemeinen, für alle Dienstverträge geltenden Beweiserleichterungsregel, regelt § 630h weitergehende Beweiserleichterungsregelungen speziell für den medizinischen Behandlungsvertrag.

Beweislast beim "voll beherrschbaren Risiko"

"Ein Fehler des Behandelnden wird vermutet, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat." (§ 630h Absatz 1)

Es geht bei dieser Fallgruppe um Risiken, die der Arzt in einem bestimmten Bereich objektiv voll beherrschen kann. Das betrifft z.B. die spezifischen Risiken, die durch die Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen, z.B. beim Einsatz medizinischtechnischer Geräte, ausgeschlossen werden können. Das Gleiche gilt für die Einhaltung der Hygienestandards oder die ordnungsgemäße Koordinierung und Organisation der Behandlungsabläufe. Weil der Patient in der Regel weder Einblick noch Einfluss in und auf diese Bereiche hat und weil bei Einhaltung aller Regeln davon ausgegangen wird, dass die Verwirklichung des jeweils spezifischen Risikos ausgeschlossen ist, soll in diesen Fällen der Arzt nachweisen müssen, dass ihm keine Pflichtverletzung, d.h. kein Behandlungsfehler unterlaufen ist. Die Nachweispflicht dafür, dass sich überhaupt ein sog. vollbeherrschbares Risiko verwirklicht hat, liegt allerdings weiterhin beim Patienten.

Beweispflicht für ordnungsgemäße Aufklärung und Einwilligung

Gemäß § 630h Absatz 2 Satz 1 trägt der Arzt die Beweislast dafür, dass der Patient in die Behandlung eingewilligt hat und dass die hierfür erforderliche Aufklärung ordnungsgemäß erfolgt ist:

"Der Behandelnde hat zu beweisen, dass er eine Einwilligung gemäß § 630d eingeholt und entsprechend den Anforderungen des § 630e aufgeklärt hat."

Erforderlich ist hierfür eine ordnungsgemäße Aufklärung über alle wesentlichen Risiken. Der Arzt haftet aber nur dann, wenn der Aufklärungsfehler auch ursächlich für den Schaden war. Er haftet nicht, wenn der Patient mutmaßlich auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte (§ 630h Absatz 2 Satz 2, z. B. bei einer lebensrettenden Operation. Eine Haftung tritt aber dann ein, wenn der Patient darlegen kann, er hätte sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einem Entscheidungskonflikt befunden, da bei einem solchen Entscheidungskonflikt nicht von einer wirksamen Einwilligung ausgegangen werden kann.

Beweislast bei unzureichender Behandlungsdokumentation

"Hat der Behandelnde eine medizinisch gebotene wesentliche Maßnahme und ihr Ergebnis entgegen § 630f Absatz 1 oder Absatz 2 nicht in der Patientenakte aufgezeichnet oder hat er die Patientenakte entgegen § 630f Absatz 3 nicht aufbewahrt, wird vermutet, dass er diese Maßnahme nicht getroffen hat." (§ 630h Absatz 3)

In dem Fall, dass eine bestimmte ärztliche Maßnahme nicht dokumentiert ist, wird der Arzt im Schadensfall beweisrechtlich so gestellt, als ob die Maßnahme nicht durchgeführt worden ist. Dies gilt bis zum Ablauf der Aufbewahrungsfristen für die betreffenden Behandlungsunterlagen. Es liegt in einer solchen Situation dann an ihm, die tatsächlich erfolgte Durchführung der Maßnahme zu beweisen. Im Wesentlichen wird diese Beweislastregel relevant bei dokumentationspflichtigen Befunden sowie bei sog. Anfängerbehandlungen, die lückenlos zu dokumentieren sind.

Beweislast beim Anfängerfehler

"War ein Behandelnder für die von ihm vorgenommene Behandlung nicht befähigt, wird vermutet, dass die mangelnde Befähigung für den Eintritt der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit ursächlich war." (§ 630h Absatz 4)

Die Übertragung von Tätigkeiten an einen hierfür unzureichend qualifizierten Arzt entspricht daher nicht dem im Behandlungsverhältnis geschuldeten Behandlungsstandard. Steht die unzureichende Qualifikation des Arztes fest, muss nur dann nicht gehaftet werden, wenn die unzureichende Befähigung, Übung oder Erfahrung des Behandelnden nicht ursächlich für die Verletzung des Patienten war. Die Beweislast für den ärztlichen Fehler und für den eingetretenen Schaden verbleibt bei dieser Fallgruppe beim Patienten.

Beweislast beim groben Behandlungsfehler

"Liegt ein grober Behandlungsfehler vor und ist dieser grundsätzlich geeignet, eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich war." (§ 630h Absatz 5 Satz 1)

Grundsätzlich hat der Patient im Schadensfall sowohl die Tatsache zu beweisen, dass ein Behandlungsfehler vorliegt und dass dieser Fehler auch ursächlich für die entstandene Verletzung der Gesundheit oder des Lebens geworden ist. Liegt indes ein grober Behandlungsfehler vor, ist der Patient von dieser Beweislast befreit, denn

die Kausalität wird dann vermutet. Dass der Fehler "grob“ war, ist allerdings vom Patienten zu beweisen.

Der betroffene Arzt muss bei einem festgestellten groben Behandlungsfehler beweisen, dass dieser nicht kausal war für die Rechtsgutsverletzung oder dass der Gesundheitsschaden auch bei regelrechter Behandlung eingetreten wäre. Ein Fehler gilt als grob, wenn der Arzt gegen gesicherte und bewährte medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen verstoßen hat und ihm dies schlechterdings nicht unterlaufen darf. Dies ist immer eine Frage des Einzelfalls!

Beweislast beim Befunderhebungsmangel

Die Regelung des § 630h Absatz 5 Satz 2 regelt den Fall, dass ein einfacher Befunderhebungs- oder Befundsicherungsfehler vorliegt und anzunehmen ist, dass sich bei der gebotenen Abklärung der Krankheitssymptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass eine Verkennung oder eine Nichterkennung als grob fehlerhaft zu werten gewesen wäre:

"...Dies gilt auch dann, wenn es der Behandelnde unterlassen hat, einen medizinisch gebotenen Befund rechtzeitig zu erheben oder zu sichern, soweit der Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis erbracht hätte, das Anlass zu weiteren Maßnahmen gegeben hätte, und wenn das Unterlassen solcher Maßnahmen grob fehlerhaft gewesen wäre."

Diese Vermutung der Ursächlichkeit zwischen dem Befunderhebungs- oder Befundsicherungsmangel und der Rechtsgutsverletzung kann vom Arzt widerlegt werden.

II. Handlungsmöglichkeiten des Patienten bei einem Verdacht auf Vorliegen eines Behandlungsfehlers

1. Schritt: Gespräch mit dem behandelnden Arzt

Wenn der Verdacht auf das Vorliegen eines Behandlungsfehlers besteht, sollte zur Ausräumung von Missverständnissen der Arzt um ein aufklärendes Gespräch gebeten werden. Dieses Gespräch sollte der Patient aber unbedingt nur in Begleitung eines von ihm ausgesuchten Zeugen führen. Das Gespräch sollte zur Sicherheit auch hinterher als Gedächtnisprotokoll schriftlich festgehalten werden.

2. Schritt: Herausgabeverlangen von Kopien oder elektronischen Datenträgern der Patientenakte gegen Unkostenerstattung

Der Patient hat hierauf Anspruch und sollte sich weder vom Arzt noch von einem Krankenhaus durch Versprechungen oder Drohungen abhalten lassen. Er muss für sein Akteneinsichtsrecht/Herausgaberecht auf Kopien auch keinen Grund angeben. Aus Gründen der Nachweisbarkeit sollte dieser Anspruch aber, unter Setzung einer Frist von maximal 14 Tagen, schriftlich geltend gemacht werden.

3. Schritt: die Einschaltung der Krankenkasse bei gesetzlich Versicherten

Krankenkassen "sollen" bei Behandlungsfehlern unterstützen. Deshalb ist im Sozialgesetzbuch V in der Vorschrift des § 66 SGB V im Zuge des Erlasses des Patientenrechtegesetzes ein einziges Wort geändert worden: Das Wörtchen "können“ wurde durch das Wörtchen "sollen" ersetzt. Mit weitreichenden Folgen. Vor Erlass des Patientenrechtegesetzes war es mit dem "können" den Krankenkassen und den Pflegekassen freigestellt, ihre Versicherten in Fällen, in denen der Verdacht auf einen Behandlungs- oder Pflegefehler vorliegt, zu unterstützen. Nach dieser Gesetzesänderung sind sie grundsätzlich zur Unterstützung verpflichtet, es sei denn, es sprächen besondere Gründe dagegen. Unterstützen kann die Krankenkasse den Patienten z. B. durch die Beauftragung des MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen) mit der Erstellung eines ärztlichen Gutachtens. Dieses ist für den

gesetzlich Versicherten nicht mit Kosten verbunden.

4. Schritt: Einschaltung der Gutachterkommission

Die jeweiligen Landesärztekammern bieten Patienten auf schriftlichen (formlosen) Antrag die Möglichkeit, durch objektive schriftliche Begutachtung des ärztlichen Handelns, das zu dem Schadensereignis geführt haben soll, die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche zu erleichtern. Die Gutachterkommission ist immer mit 2 Ärzten besetzt, bei denen einer die Fachgebietsbezeichnung des betreffenden Arztes, der vermeintlich für den Behandlungsfehler haftbar ist, führen muss und mit einem Vorsitzenden, der die Befähigung zum Richteramt haben muss. Das Verfahren ist für den Patienten grundsätzlich kostenfrei.

In manchen, allerdings wenigen, Fällen wird durch die Feststellung der Gutachterkommission dem Patienten die Führung eines zeitlich und finanziell aufwendigen Zivilrechtsstreits erspart. Bitte beachten Sie, dass Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach 3 Jahren verjähren, nachdem Sie von den wesentlichen Umständen des Behandlungsfehlers Kenntnis erlangt haben!

5. Schritt: die Einschaltung eines auf das Medizinrecht spezialisierten Rechtsanwaltes

Selbstverständlich kann der Patient bei Verdacht auf Vorliegen eines Behandlungsfehlers sofort einen entsprechenden Rechtsanwalt einschalten, was auch immer empfohlen wird.

In manchen Fällen ist der Patient aber nicht rechtsschutzversichert und nicht willens oder in der Lage, die Vergütung eines Rechtsanwaltes zu bezahlen. Da empfiehlt sich die vorherige Ausschöpfung der kostenfreien Möglichkeiten. Wenn diese Möglichkeiten nicht zum Erfolg geführt haben oder der Patient direkt die Klageerhebung wünscht, besteht die Möglichkeit, für diese Klage bei Gericht unter Offenlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse, Prozesskostenhilfe zu beantragen. Diese Prozesskostenhilfe wird allerdings nur bei

einer hinreichenden Aussicht auf Erfolg gewährt werden.

Zu beachten ist auch, dass bei Schadensersatz- und Schmerzensgeldklagen bei einem Streitwert über 5.000,- Euro das Landgericht zuständig ist, bei dem Anwaltszwang herrscht. Bei Klagen unter 5.000,- Euro ist das Amtsgericht zuständig. Hier muss der Kläger nicht anwaltlich vertreten sein. Aufgrund der Komplexität der Materie ist jedoch dringend die Einschaltung eines Anwaltes anzuraten, auch aus Gründen der „Waffengleichheit“, da die Gegenseite mit großer Wahrscheinlichkeit anwaltlich vertreten sein dürfte.

III. Interessante Urteile im Arzthaftungs- und Medizinrecht

1. Kein Anspruch auf Übersendung von Patientenunterlagen

Grundsätzlich steht einem Patienten ein Einsichtsrecht in seine Behandlungsunterlagen zu. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Behandler auch verpflichtet ist, die Unterlagen oder Kopien davon an den Patienten zu übersenden. Ein Anspruch auf Zusendung besteht grundsätzlich nicht. Da es sich um eine sogenannte Holschuld handelt, kann lediglich verlangt werden, dass die Kopien in der Praxis zur Abholung bereitgehalten werden. (LG Dortmund, Beschluss vom 7.4.2000 (Az.: 17 T 31/00)).

2. Auch über seltene Risiken muss aufgeklärt werden

Selbst bei einer einfachen Behandlung, wie der Erneuerung einer Plombe im Backenzahnbereich, muss der Zahnarzt vor der Verabreichung einer Spritze mit Narkosemittel darüber aufklären, dass dadurch das Risiko einer taub bleibenden Zunge besteht. (Oberlandesgericht Koblenz, Urteil v. 13.05.2004, Aktenzeichen: 5 U 41/03)

3. Haftung für groben Behandlungsfehler wegen eines Hygienemangels

40.000 Euro Schmerzensgeld für MRSA-Infektion

Das OLG Hamm sprach im November 2013 in einem Fall, in dem sich ein Patient im Krankenhaus mit dem MRSA- Keim (multiresistenter Keim) infiziert hatte, ein Schmerzensgeld von 40.000 Euro zu. Verursacht wurde die Infektion durch einen Pflegeschüler, der die Hygienevorschriften missachtet hatte (grober Behandlungsfehler). Über das Schmerzensgeld hinaus, werden dem Kläger auch alle materiellen Schäden und die zukünftigen immateriellen Schäden ersetzt. Der Kläger, ein heute 58-jähriger Elektriker wurde in einem Krankenhaus in Brilon zur Behandlung eines Tinnitus mit Infusionen versorgt. Dabei hatte ein Krankenpflegeschüler die eitrige Wunde eines anderen Patienten behandelt und danach beim Abstöpseln der Kanüle des Klägers nicht die Handschuhe gewechselt. Zudem war der Infusionsschlauch auf den Boden gefallen und wieder verwendet worden. Beim Kläger kam es zu einer Entzündung des linken Arms. Später wurde die Infektion mit dem MRSA- Keim festgestellt. Diese Infektion führte zu einer Blutvergiftung und einer Entzündung der Bandscheiben und der damit verbundenen Wirbelkörper. Zudem kam es zu einem Abszess im Bereich der Lendenwirbelsäule. Der Abszess in der Lendenwirbelsäule wurde operiert. Der Kläger befand sich sodann weitere 47 Tage in stationärer Behandlung. Insgesamt litt er ein Jahr unter den Folgen. Laut Sachverständigem handelt es sich bei der Vorgehensweise des Pflegeschülers um einen groben Behandlungsfehler. (OLG Hamm, Urteil vom 08.11.2013- 26 U 62/12)

4. Haftung wegen eines groben Behandlungsfehlers

Ausgangspunkt der Entscheidung ist eine Fraktur des Ellenbogengelenks des damals 2 Jahre und 3 Monate alten Klägers. Im Rahmen der Erstbehandlung wurde eine schmerzhafte Einschränkung der Beweglichkeit des Ellenbogengelenks festgestellt. Infolge einer Röntgenuntersuchung in zwei Schichten kam der behandelnde Arzt zu dem Ergebnis, dass eine epikondyläre Oberarmfraktur mit Gelenkbeteiligung und einer minimalen Verschiebung der Fragmente vorlag. Etwa 3 - 4 Wochen danach wurde der Gipsverband durch den nachbehandelnden Chirurgen entfernt und eine weitere Röntgenuntersuchung vorgenommen. Dabei wurde eine Fehlstellung (Dislokation) des mittlerweile zusammengewachsenen Knochens festgestellt. Diese Dislokation wurde die nachfolgende kinderchirurgische Operation nicht behoben. Der Kläger verklagt den Landkreis als Träger der erstbehandelnden Chirurgischen Klinik.

Der hinzugezogene Sachverständige stellte fest, dass bereits am Anfang der Behandlung eine prophylaktische operative Fixation hätte erfolgen müssen; zudem hätte sich eine postprozeduale Kontrolldiagnostik anschließen müssen. Ursprünglich wurde schon der Frakturtyp nicht korrekt interpretiert. Trotz falscher Diagnose war die Erstbehandlung der Fraktur mittels Gips korrekt. Bei dieser Art der Fraktur hätte aber eine engmaschige und zeitnahe Röntgenkontrolle erfolgen oder zumindest angeordnet werden müssen. Nachdem dies nicht erfolgte und zudem eine Nachbehandlung beim Hausarzt empfohlen wurde, hat die beklagte Klinik die zum damaligen Zeitpunkt noch mögliche korrekte Weiterbehandlung weiter erschwert und verzögert.

Wegen des Alters des Kindes und der Art der Verletzung bestand die medizinische Notwendigkeit, den Bruch durch zeitnahe Röntgenkontrollen zu überwachen. Die Ärzte der Klinik hätten dafür Sorge tragen müssen, dass die erforderliche Nachbehandlung gesichert war. Nachdem die Ärzte der Klinik die Nachbehandlung nicht selbst vornahmen, hätten sie in den entsprechenden Mitteilungen an die nachbehandelnden Ärzte neben dem Entlassungsbefund zusätzlich auf die sich daraus für die Nachbehandlung ergebenden therapeutischen Konsequenzen hinweisen müssen. Ohne eine solche besondere Information des nachbehandelnden Arztes kann diesem nicht die alleinige Verantwortung für die Nachbehandlung angelastet werden, denn ohne eine solche Unterrichtung konnte dieser keine eigenverantwortliche Beurteilung seiner Weiterbehandlungsmöglichkeiten

vornehmen. Nicht in Frage steht, dass die Nachbehandlung durch den Chirurgen sowie die Operation der kinderchirurgischen Klinik ebenfalls fehlerhaft war. Das Landgericht Karlsruhe weist jedoch darauf hin, dass die Mitursächlichkeit im Schadensrecht einer Alleinursächlichkeit gleich steht, was auch für die Arzthaftung gilt.

Das Landgericht war insofern der Auffassung, dass die unterlassene Weiterverweisung an einen Kinderchirurgen bzw. die unterbliebene Anordnung einer engmaschigen und zeitnahen Röntgenkontrolle bei dieser speziellen Verletzung eines 2 Jahre und 3 Monate alten Kindes einen groben Behandlungsfehler darstellt. Dies insbesondere deshalb weil der erstbehandelnde Arzt dadurch die Aufklärung des Behandlungsverlaufs besonders erschwerte.

Infolge dieses - vom Landgericht Karlsruhe bejahten - groben Behandlungsfehlers tritt eine Beweislastumkehr zugunsten des Patienten ein. Das Gericht ging bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nach der Beurteilung des Sachverständigen davon aus, dass man weitere für die Zukunft maßgebende Beurteilungen erst nach dem Abschluss des knöchernen Wachstums des Klägers treffen könne. Deshalb wurde die Höhe des Schmerzensgeldes von 6.000,- EUR auch nur unter Berücksichtigung des Zeitraums bis zum 17. Lebensjahr des Klägers bemessen. Dem Feststellungsantrag hinsichtlich aller zukünftigen Schäden aus der ärztlichen Falschbehandlung wurde entsprochen. (Urteil Landgericht Karlsruhe vom 20.02.2009 (Az.: 6 O 115/07))

5. Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen Eingriffs ohne Einwilligung - Kölner "Zwitterprozess" - 100.000 EUR Schmerzensgeld zugesprochen

Im Jahre 1977 wurden der damals 18-jährigen Klägerin ohne vorherige Einwilligung im Rahmen einer Blinddarm-Operation die Eierstöcke entfernt. Der Beklagte war vor dieser Operation von einem gemischt männlich-weiblichen Geschlecht und verkümmerten weiblichen Geschlechtsorganen ausgegangen.

Das Oberlandesgericht Köln entschied hierzu im September 2008, dass der Beklagte die Klägerin dadurch schuldhaft in ihrer Gesundheit und ihrem Selbstbestimmungsrecht verletzt habe und folglich zum Schadensersatz bzw. Schmerzensgeld verpflichtet sei. Über die Höhe des Schmerzensgeldes wurde seinerzeit nicht entschieden.

Das Landgericht Köln (Az: 25 O 179/07) hat das Schmerzensgeld auf 100.000,- EUR festgesetzt.

Die Urteilsgründe stellen schwerpunktmäßig darauf ab, dass der Klägerin die Möglichkeit genommen wurde, ein weibliches Leben zu führen. Ein Leben als Frau zu führen und ihre weibliche Sexualität - bis hin zur Fortpflanzung - zu erleben, sei ihr nicht mehr möglich. Dadurch sei ihre geschlechtliche Identität massiv und unwiederbringlich geschädigt.

Das Gericht stellte dabei auf die körperliche Unversehrtheit und das Persönlichkeitsrecht der Klägerin ab. Schwer wog der Umstand, dass sich die Folgen der seinerzeitigen Operation bis zum heutigen Tag auswirken. Durch die Entfernung der Eierstöcke war ihr die Möglichkeit genommen, selbst weibliche Geschlechtshormone zu bilden. Auf

natürlichem Wege konnte die Klägerin daher das Leben einer Frau nicht mehr führen. Die massive Beeinträchtigung der geschlechtlichen Identität wirkt sich bei der Geschädigten Tag für Tag aus. Nach eigenem Bekunden führt die Klägerin "ein Leben im falschen Geschlecht".

Als Orientierungspunkt für die Bemessung des Schmerzensgeldes stellte das Landgericht Köln auf vergleichbare Rechtsprechung ab, die Schmerzensgelder in einer Größenordnung zwischen 20.000,- EUR bis 50.000,- EUR zusprachen (LG Rostock, Urteil vom 03.07.1997, 10 O 14/97; OLG Düsseldorf, Urteil vom 01.12.1994, VersR 1995, 1316; OLG Oldenburg, Urteil vom 02.08.2006, 5 U 16/06). Hinsichtlich des besonderen Leids, das die Klägerin erfahren hatte, war das Schmerzensgeld auf die Summe von 100.000,- EUR aufzustocken. (LG Köln, Urteil v. 12.08.2009, Az.: 25 O 179/07)