zu OLG Hamm , Urteil vom 12.09.2017 - 10 U 75/16

EuGH: Rom-III-Verordnung auf Privatscheidungen nicht anwendbar

Beeinträchtigt der überlebende Ehegatte die Erberwartung eines in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament verbindlich eingesetzten Schlusserben durch Schenkungen an einen Dritten, kann der Dritte nach dem Tod des zuletzt verstorbenen Ehegatten zur Herausgabe der Zuwendung an den Schlusserben verpflichtet sein, wenn der Erblasser kein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse an der Zuwendung hatte. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm mit Urteil vom 12.09.2017 unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Hagen entschieden (Az.: 10 U 75/16).

 

Kläger war Schlusserbe des längstlebenden Ehegatten

 

Der heute 71 Jahre alte Kläger ist Erbe seines 2014 im Alter von 97 Jahren verstorbenen Vaters und Erblassers. Dieser und die im Jahr 2005 im Alter von 84 Jahren verstorbene Mutter des Klägers hatten diesen in einem 1961 errichteten und im Jahr 2000 geänderten gemeinschaftlichen Testament zum Schlusserben des längstlebenden Ehegatten eingesetzt.

 

Lebenslanges Wohnrecht für Lebensgefährtin des Vaters vereinbart

 

Nach dem Tod der Mutter lernte der Vater die heute 78 Jahre alte Beklagte kennen, mit der er seit 2010 in einem Haushalt zusammenlebte. Auf Wunsch des Vaters vereinbarte der Kläger mit der Beklagten im Jahr 2010 ein lebenslanges Wohnrecht an einer im Eigentum des Klägers stehenden Wohnung unter der Bedingung, dass die Beklagte den Vater bis zu dessen Tod oder bis zu einer Heimaufnahme pflege und in Bezug auf das von ihr und dem Vater bewohnte Haus keine Besitzansprüche stelle.

 

Vater übertrug verschiedene Vermögensgegenstände auf seine Lebensgefährtin

 

In der Folgezeit übertrug der Vater der Beklagten verschiedene Vermögensgegenstände (unter anderem Fondsbeteiligungen, Schuldverschreibungen Genussrechte, Lebensversicherungen) im Wert von circa 222.000 Euro. Aus diesen erhielt die Beklagte Dividenden in Höhe von circa 23.500 Euro. Durch Barabhebungen erlangte die Beklagte weitere 50.000 Euro aus dem Vermögen des Erblassers.

 

Kläger verlangt nach Tod des Vaters Herausgabe der Vermögensgegenstände

 

Im zu entscheidenden Rechtsstreit hat der Kläger von der Beklagten die Herausgabe der genannten Vermögenswerte verlangt und gemeint, die Zuwendungen seien als sein Erbteil beeinträchtigende Schenkungen rückabzuwickeln. Die Beklagte hat eine Beeinträchtigungsabsicht des Erblassers bestritten und behauptet, dieser habe ihr die Vermögenswerte aus Dankbarkeit für und zur Sicherstellung weiterer intensiver Pflege übertragen. Den Erblasser habe sie seit ihrem Einzug in dessen Wohnung intensiv – quasi 24 Stunden am Tag – gepflegt und betreut.

 

OLG sieht Erberwartung des Klägers beeinträchtigt

 

Die Klage hatte Erfolg. Das OLG Hamm hat die Beklagte zur Übertragung der ihr zugewandten Vermögenswerte und zur Rückzahlung der von ihr erlangten Gelder verurteilt. Der Erblasser habe der Beklagten die Vermögenswerte geschenkt, so das OLG. Diese Schenkungen hätten die Erberwartung des Klägers beeinträchtigt und seien nicht durch ein – eine Benachteiligungsabsicht ausschließendes – anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse des Vaters veranlasst gewesen.

 

Vater hätte Schlusserbeneinsetzung des Klägers beachten müssen

 

Nach dem Tod der Mutter habe der Vater die Einsetzung des Klägers als Schlusserbe beachten müssen. Die Erbeinsetzung beruhe auf einer wechselbezüglichen Verfügung beider Ehegatten, an die der Überlebende nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten gebunden sei. Die in Frage stehenden Zuwendungen habe die Beklagte als Schenkungen erhalten. Dass sie als Gegenleistung für die erbrachten oder erwarteten Pflegeleistungen vertraglich vereinbart gewesen seien, habe die Beklagte nicht schlüssig vorgetragen.

 

Erforderliche Benachteiligungsabsicht nicht an hohe Anforderungen geknüpft

 

Der Erblasser habe bei der Schenkung auch mit Benachteiligungsabsicht gehandelt. Orientiert am Schutzzweck des Gesetzes seien an das Vorliegen der Benachteiligungsabsicht zunächst nur geringe Anforderungen zu stellen. Die Beeinträchtigung des Vertragserben müsse nicht das einzige oder leitende Motiv für die Schenkung gewesen sein. Es genüge vielmehr, dass der Erblasser wisse, dass er durch die unentgeltliche Zuwendung das Erbe schmälert.

 

Schenkungen nach Abwägung der beteiligten Interessen nicht zu rechtfertigen

 

Zur Feststellung einer Benachteiligungsabsicht sei allerdings durch eine Abwägung der beteiligten Interessen zu prüfen, ob der Erblasser ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse an der Zuwendung habe. Nur in diesem Fall müsse der Erbe die seine Erberwartung beeinträchtigende Zuwendung hinnehmen. Ein derartiges Eigeninteresse könne zwar vorliegen, wenn ein Erblasser mit einer Schenkung seine Altersvorsorge und Pflege sichern wolle. Im zu beurteilenden Fall habe die Beklagte allerdings ein diesbezügliches, anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers nicht schlüssig darlegen können. Unter Berücksichtigung der Dividenden gehe es um Schenkungen im Wert von circa 250.000 Euro an die Beklagte, die den Nachlass weitgehend wertlos gemacht hätten. Dem stünden behauptete Pflege- und Haushaltsleistungen über einen Zeitraum von circa vier Jahren gegenüber, wobei zu berücksichtigen sei, dass die Beklagte während dieser Zeit ohnehin in vollem Umfang freie Kost und Logis vom Erblasser erhalten habe sowie auf Kosten des Erblassers mit ihm gemeinsam gereist sei. Außerdem habe ihr der Kläger für die Zeit nach dem Tod des Erblassers ein Wohnrecht zugesagt. Vor diesem Hintergrund rechtfertigten die von der Beklagten behaupteten Pflege- und Haushaltsleistungen die infrage stehenden Schenkungen nicht. Zudem habe die Beklagte dem Kläger die vereinnahmten Dividenden sowie die Barabhebungen zu erstatten. Dass sie diese Beträge dem Erblasser ausgehändigt oder in seinem Sinne ausgegeben habe, sei von der Beklagten nicht nachvollziehbar dargetan worden.