OLG Hamm: Ungelernter Unterhaltsschuldner muss sich Einkommen aus früherem Job als fiktives Arbeitseinkommen anrechnen lassen

zu OLG Hamm, Beschluss vom 22.12.2015 - 2 UF 213/15

zu OLG Hamm, Beschluss vom 22.12.2015 - 2 UF 213/15

Schuldet ein arbeitsloser Vater seinem minderjährigen Kind Unterhalt, muss er nachhaltige Bemühungen um eine angemessene Vollzeittätigkeit darlegen und beweisen. Dies gilt uneingeschränkt auch für ungelernte Unterhaltsschuldner. Tut er dies nicht, kann ihm das Einkommen aus einer früheren - auch nur mehrmonatigen - Beschäftigung als fiktives Arbeitseinkommen bei der Unterhaltsberechnung angerechnet werden. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm mit rechtskräftigem Beschluss vom 22.12.2015 entschieden (Az.: 2 UF 213/15, BeckRS 2016, 02903).

 

Familiengericht rechnete Unterhaltsschuldner fiktives Einkommen an

 

Der 1985 geborene Antragsgegner ist der Vater der im April 2013 geborenen Antragstellerin. Mit der Kindesmutter, die das Kind betreut, lebt der Vater seit Juli 2015 nicht mehr zusammen. Der Antragsteller besitzt den Hauptschulabschluss. Eine im gärtnerischen Bereich begonnene Berufsausbildung brach er ab, zeitweise arbeitete er bei unterschiedlichen Zeitarbeitsfirmen und verdiente in einer Autowäsche für einige Monate monatlich über 1.300 Euro netto. Diese Arbeitsstelle verlor er - nach eigenen Angaben schuldlos - im Herbst 2014 und ist seitdem arbeitslos. Mittlerweile bezieht er Leistungen nach dem SGB II. Die Antragstellerin begehrte Kindesunterhalt. Diesen sprach ihr das Familiengericht für die Zeit ab September 2015 in Höhe von monatlich 236 Euro zu, berechnet nach einem fiktiven Einkommen des Antragsgegners. Dagegen legte der Antragsgegner Beschwerde ein.

 

OLG: Anrechnung fiktiven Einkommens wegen gesteigerter Unterhaltspflicht gerechtfertigt

 

Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Das Familiengericht habe dem Antragsgegner zu Recht ein fiktives Einkommen angerechnet, das die Zahlung des begehrten Kindesunterhalts ohne Gefährdung seines notwendigen Selbstbehalts zulasse. Eltern hätten gegenüber ihren minderjährigen, unverheirateten Kindern eine gesteigerte Unterhaltspflicht. Seine eigene Arbeitskraft habe der unterhaltspflichtige Elternteil einzusetzen. Unterlasse er dies, könnten auch fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden, wenn der unterhaltspflichtige Elternteil eine reale Beschäftigungschance habe.

 

Unterhaltspflichtiger für Fehlen einer Beschäftigungschance darlegungs- und beweisbelastet

 

Wie das OLG erläutert, habe der Unterhaltspflichtige dabei das Fehlen der Beschäftigungschance darzulegen und zu beweisen. Für gesunde Arbeitnehmer im mittleren Erwerbsalter gelte insoweit selbst in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit regelmäßig kein Erfahrungssatz, nach welchem sie auch als ungelernte Kräfte nicht in eine vollschichtige Tätigkeit zu vermitteln seien. Unter Einsatz aller zumutbaren und möglichen Mittel müsse sich der Unterhaltspflichtige nachhaltig darum bemühen, eine angemessene Vollzeittätigkeit zu finden. Die bloße Meldung bei der Arbeitsagentur genüge nicht. Ebenso reiche es nicht, wenn sich der Unterhaltspflichtige lediglich auf die vom zuständigen Jobcenter unterbreiteten Stellenangebote bewerbe. Er müsse nachprüfbar vortragen, welche Schritte er im Einzelnen in welchem zeitlichen Abstand unternommen habe, um eine Erwerbsmöglichkeit zu finden.

 

Ausreichende Erwerbsbemühungen hier nicht dargetan

 

Laut OLG entfaltete der Antragsgegner im vorliegenden Fall offensichtlich keine Erwerbsbemühungen. Dazu fehle jeglicher Vortrag. So könne nicht festgestellt werden, dass der Antragsgegner das vom Familiengericht geschätzte monatliche Nettoeinkommen von über 1.300 Euro nicht erzielen könne. Bei seiner Tätigkeit in einer Autowäsche habe er dieses Einkommen tatsächlich für einige Monate erhalten. Durchgreifende Gründe dafür, dass der Antragsgegner bei ausreichenden Bemühungen ein solches Nettoeinkommen inklusive Überstundenvergütung nicht wieder erzielen könnte, habe er nicht benannt. Zudem komme die Aufnahme einer Nebentätigkeit in Betracht, wenn der Antragsgegner den Kindesunterhalt nicht mit dem aus einer Haupterwerbstätigkeit erzielbaren Einkommen sicherstellen könne.